Lasst uns jetzt dagegenstehen!

Ein Kommentar von Christian Senker

Gewarnt wurden wir vor Neuwahlen, und gewarnt wurden wir vor einer Minderheitsregierung. Vom Bundesvorstand bis zum MdB vor Ort hieß es einhellig: Inhalte könne man nur in einer Großen Koalition durchsetzen. Die Union sei kein Wunschpartner aber es sei (wieder einmal) an der Zeit, Verantwortung zu übernehmen.

Verantwortung als Selbstzweck?

Nicht erst die Debatte um §219a hat mich darüber ins Grübeln gebracht. Aber hier wird deutlich: es gibt im Bundestag eine links-liberale Mehrheit, die sich zumindest in dieser Frage von der Politik der 50er Jahre verabschieden will. Doch es ist die Sozialdemokratie, die selbst diesen kleinen Fortschritt verhindert und den Konservativen die Mehrheit beschafft. Mir stellt sich also die Frage, wofür die SPD Verantwortung übernimmt. Etwa nur noch für die Große Koalition und damit als Selbstzweck?

Gesetzesentwurf zurückgezogen – ein Kompromiss!

Doch die SPD sei nicht eingeknickt, denn die Union habe sich in der Sache auf uns zubewegt, heißt es aus Berlin. Daher habe man den Gesetzesentwurf zum §219a zurückgezogen und versuche nun eine „Kompromisslösung“ zu finden. Wie der Kompromiss für die Konservativen aussieht, hat Jens Spahn als Gesundheitsminister mal eben deutlich gemacht. Er verhöhnt die Betroffenen und stellt Sachinformationen mit Werbung gleich.

Keine Haltung ist auch keine Lösung!

Jens Spahn versucht sich zu profilieren und die Interessen des rechts-konservativen Lagers zu bedienen. Man sollte dem nicht zu viel Beachtung schenken und die eigene Haltung positiv herausstellen. Gelegenheiten dafür gibt es genügend. Die Debatte um die Essener Tafel war erschreckend und beschämend für dieses Land. Die Chance, Haltung zu beziehen, haben aber auch hierbei nur die Rechts-Konservativen genutzt. Hartz IV sei schließlich die Antwort auf Armut, nicht das Problem! Das ist Haltung, neoliberal oder schlicht asozial. Die Antwort der SPD hätte selbstkritisch ausfallen müssen. Die Agenda 2010 und das Erstarken der Tafelbewegung sind chronologisch miteinander verwoben. Ziel sozialdemokratischer Politik muss es aber sein Tafeln überflüssig zu machen, nicht deren großes Engagement im Klein-Klein zu loben.

„Man wird doch auch mal stolz sein dürfen!“

„Auf das Erreichte solle man auch mal stolz sein“ wurde immer wieder in der Diskussion um die GroKo vorgebracht. „Denn die SPD habe viel erreicht“, was stimmen mag. In Anbetracht der Tatsache, dass die Spaltung unserer Gesellschaft in den letzten Jahren zugenommen hat und sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter öffnet, halte ich es jedoch für angezeigt, auf das zu schauen, was wir nicht erreicht haben. Und das sollten wir tun, gerade weil die Sozialdemokratie an der Regierung beteiligt ist, und auch deshalb, weil ein Richtungswechsel mit den Konservativen nicht möglich ist. Die SPD scheint jedoch resigniert zu haben und findet sich damit ab, im Neoliberalismus nur noch kleine Rädchen bewegen zu können.
Wohin der ausschließliche Blick auf das scheinbar Erreichte führt, wird schon bald auch in der Gesundheitspolitik deutlich werden. Mit den Worten „man kann doch auch mal stolz sein auf unser Gesundheitssystem“, beerdigt Jens Spahn auch die Debatte um die Bürgerversicherung. Bestandteil im Koalitionsvertrag ist sie nicht, darum wird die SPD nicht wagen, diesen Ansatz weiter zu verfolgen. Wir können schließlich stolz darauf sein, die Parität wieder hergestellt zu haben.

Schwarze Zahlen, schwarze Politik

Immerhin stellen wir den Finanzminister in der neuen Regierung. Endlich können wir eine alternative Wirtschaftspolitik denken und den Investitionsstau im Kita- und Bildungsbereich, in der Straßen- und ÖPNV-Infrastruktur, der Pflege und Gesundheitsversorgung oder im Sozialen Wohnungsbau abbauen. Investitionen in die Zukunft!
Oder wir machen es wie Olaf Scholz sagt: „Wir haben uns alle gemeinsam die schwarze Null vorgenommen“. Ein Umdenken wäre stattdessen notwendig, denn viele im Koalitionsvertrag vereinbarte Investitionen stehen bereits jetzt auf der Kippe. Aber sicher nicht die Wahlgeschenke! Schön für diejenigen, die sich über Baukindergeld und der Gleichen freuen dürfen.

Haltung ist keine Frage von Mehrheiten!

Ich habe dafür geworben, dieser Großen Koalition nicht zuzustimmen. Ich hatte die Hoffnung, die SPD könne endlich zeigen, dass die Sozialdemokratie einen grundsätzlich anderen Gesellschaftsentwurf verfolgt als die Konservativen. Doch in der GroKo entfernen wir uns davon zunehmend.
Nun soll ich das Votum der Mitglieder akzeptieren. Das fällt mir schwer. Zum Glück, denn sonst hätte ich wohl resigniert und könnte genauso gut austreten und mich zurücklehnen. So aber habe ich nun den Antrieb, trotzdem weiter zu machen. Ich bin davon überzeugt, dass wir eine starke innerparteiliche Opposition brauchen, um die Regierenden zu sozialdemokratischer Verantwortung zu drängen. Zu einfach macht es sich die Parteiführung, wenn sie sich hinter dem Votum und dem Koalitionsvertrag versteckt und gleichzeitig wieder die Lieferung von Kriegsgerät nach Saudi-Arabien genehmigt.

Sozialdemokrat*innen müssen aktuell viel ertragen, doch ändert sich nur etwas, wenn wir dagegenhalten! Die Debatte der letzten Monate macht zumindest eines sehr deutlich: „Die Sache der sozialen Demokratie hat die Zukunft nicht hinter sich“ (Willy Brand).

Verweise
  • Zeit Online, 16. März 2018: „Nahles verteidigt Kompromiss im Streit um Paragraft 219a“
  • Süddeutsche Zeitung Online, 18. März 2018: „Spahn: Es geht um ungeborenes menschliches Leben“
  • Spiegel Online, 20. März 2018: „Jens Spahn zum Realitätscheck, bitte!“
  • Zeit Online, 16. März 2018: „Der Fluch der schwarzen Null“
  • Spiegel Online, 22. März 2018: „GroKo genehmigt Rüstungslieferung nach Saudi-Arabien“